Anzeige
PeTer Nov/Dez 2018

Der hoffnungsfrohe Pessimist

Der hoffnungsfrohe Pessimist Bildunterschrift anzeigen Bildunterschrift anzeigen

BILDER: PRESSEFOTOS, ©BENWOLF2012

Pur Live – Arena Tour: Gigs in der Region

Da sitzt er in einem Nobelhotel am Potsdamer Platz in Berlin und wirkt trotz seiner hochgewachsenen Gestalt Zart: Hartmut Engler. Vor ihm steht ein Glas Mineralwasser, die Kekse hat der überzeugte Heilfaster und Buddhist noch nicht angerührt. Er, der uns einst mit seiner Vokuhilafrisur das fürchten Lehrte, spielt heute mit pur in ausverkauften Fussballstadien und scheint in sich selbst zu ruhen. Im inzwischen 16. Pur-Album „Zwischen den Welten“ fordert Engler mit markanter Stimme mehr Toleranz und setzt ein Zeichen gegen Fremdenhass. Die Songs sind zum Teil melancholisch, aber nicht hoffnungslos. Olaf Neumann sprach mit dem 56-jährigen Sänger über die Extreme, mit denen wir täglich konfrontiert werden, die AFD und seine Lebensauffassung.

Interview mit Pur-Frontmann Hartmut Engler

In „Alles was noch kommt“ halten Sie Rückschau auf Ihr bisheriges Leben. Was gelingt Ihnen heute besser als früher?

Hartmut Engler: Das Lampenfieber ist erträglicher geworden. Meditation hilft mir da sehr. Ich lese viel über buddhistische Philosophie. Der spirituelle Geist, der sich in mir breit macht, ist in die Texte mit eingeflossen. Zudem habe ich mir als Klangfarbe eine Sitar gewünscht. Als junger Mensch bin ich aus der katholischen Kirche ausgetreten, weil ich mich mit dieser Institution nicht voll identifizieren konnte. Mir hat dann aber eine gewisse Spiritualität gefehlt. 

Über ein „Ausverkauft“ freue ich mich immer am Meisten.

Über das Buch „Das weise Herz“ von Jack Kornfeld habe ich eine andere Denkweise entdeckt, die mir das Leben leichter macht. Wir sitzen jetzt gerade hier, reden ganz entspannt und ich muss nicht an übermorgen denken. Die Achtsamkeit für das, wo wir gerade sind und was uns umgibt, geht uns Menschen verloren durch unsere permanente Planerei.

Sie vermieten Ihr Elternhaus an syrische Flüchtlinge. Wollen Sie damit ein Zeichen setzen?

Engler: Ich fand das richtig, weil meine Eltern auch Heimatvertriebene waren. Der Gedanke, ein Haus, das Flüchtlinge gebaut haben, an andere Flüchtlinge zu vermieten, ist sehr tröstlich. Zu Hause gab es ein altes Bild, das ich meiner Mutter mitgebracht hatte. Darauf stand „Erst wenn du in der Fremde bist, weißt du, wie schön die Heimat ist“. Irgendwann fragten die Syrer meine Schwester, die sich um unser Elternhaus kümmert, per WhatsApp, ob die Miete bei ihr eingegangen sei. Und als Profil hatten sie das Bild mit dem Spruch genommen. Da kamen meiner Schwester und mir die Tränen.

Welche Leidensgeschichte haben diese Syrer?

Der hoffnungsfrohe Pessimist-2

Engler: Sie kommen aus einem kleinen Dorf, das komplett zerbombt wurde. Da steht kein Haus mehr. Ein Bruder ist Arzt, einer Apotheker und einer Student. Das sind ganz feine Leute. Zuerst dachte ich, in solch einem konservativen Dorf gibt es vielleicht Anfeindungen, aber die Nachbarschaft hilft ihnen sogar. So kann es auch gehen.

Kippt die positive Stimmung der Bevölkerung gegenüber Flüchtlingen gerade?

Engler: Das Perverse ist, da, wo kaum Flüchtlinge sind, wo der Ausländeranteil am geringsten ist, da wächst die Fremdenfeindlichkeit. In anderen Teilen des Landes, wo Toleranz und Offenheit herrscht, werden sie eigentlich gut integriert. In meinem Heimatort Bietigheim-Bissingen gibt es natürlich auch Flüchtlinge, sie sind in für sie gebauten Unterkünften untergebracht. Ich habe noch nicht gehört, dass das Leben in Bietigheim unsicherer geworden wäre.

In „Planet der Affen“ singen Sie, dass die Affen die Welt regierten. Wie konnte es so weit kommen?

Engler: Eine Textzeile lautet: „Ein Zustand, den kein kluger Mensch im Ernst für möglich hält“. So geht es mir auch. Wir wollten auf diese Weise nur mitteilen, dass auch wir uns große Sorgen über die weltweiten Entwicklungen machen. Im Kleinen, im täglichen Leben ist es schon zu spüren: Bei meinem letzten Besuch hier in Berlin habe ich zwei Welten von Taxifahrern erlebt. Der eine glaubte, alle Zeitungen würden lügen, und bezog seine Informationen lieber aus irgendwelchen Foren im Internet. Das, was ich glaube, lässt sich journalistisch nachprüfen, aber es schien diesen Mann nicht zu interessieren. Am nächsten Tag erzählte mir ein dunkelhäutiger Taxifahrer freudestrahlend im Berliner Dialekt, wie sehr er Deutschland liebe. Das war wieder mal zwischen den Welten in ein und der selben Stadt.

Hilft Kunst in schwierigen Zeiten?

Der hoffnungsfrohe Pessimist-3
BILDER: PRESSEFOTOS

Engler: Zumindest weiß ich durch das Feedback, das ich bekomme, dass unsere Musik für viele Menschen durchaus eine Relevanz hat. Es geht bis hin zu Statements wie „Ihr habt mein Leben gerettet!“. Ich habe eine Verantwortung, wenn ich mich öffentlich äußere, und die nehme ich auch an. Deshalb ist alles, was ich singe, mehrfach durchdacht.

Legen Sie auf die Texte mehr Wert denn je?

Engler: Ich war schon immer sehr sorgfältig, das sind ja keine Schnellschüsse. Als ich um meinen Vater getrauert habe, schrieb ich „Walzer für dich“, um mir noch einmal klarzumachen, was da passiert ist. Beim letzten Album habe ich mir das Leben meiner Mutter, die damals 90 wurde, noch einmal angeschaut. Als sie dann starb, war ich mit mir im Reinen. Und in „Winter59“ fragte ich mich, warum ich so bin, wie ich bin. Ich habe festgestellt, wenn mein Bruder nicht nach fünf Monaten abgegangen wäre, weil meine Mama beim Hausbau zu kräftig zupackte, wäre die Familienplanung 1959 abgeschlossen gewesen. Stattdessen bin ich auf die Welt gekommen.

Im Titelsong „Zwischen den Welten“ nennen Sie Donald Trump und Willy Brandt in einer Zeile. Warum ausgerechnet Brandt?

Engler: Willy Brandt ist mein All-time-Lieblingspolitiker, weil ich meine politische Sozialisation mit ihm erlebt habe. Er war ein Visionär und der einzige Politiker, den ich wegen seiner Haltung bewundert habe. Donald Trump ist das extreme Gegenteil. Ich habe mir schon damals gern Bundestagsdebatten angesehen. Die Reden von Urgesteinen wie Herbert Wehner waren zum Teil großartig. Gegen Franz Josef Strauß bin ich zum ersten Mal demonstrieren gegangen, weil ich ihn ziemlich heftig fand. Aber verglichen mit Trump war er ein Waisenknabe.

Wie erhalten Sie sich Ihren Optimismus in einer Zeit voller unerfreulicher Ereignisse?

Engler: Ich bin grundsätzlich in allen Lebenslagen pessimistisch, weil ich mich richtig darüber freuen will, wenn es dann doch nicht so schlimm kommt, wie ich es befürchtet habe. Es ist ein Zweckpessimismus. Wenn bei Bandsitzungen beschlossen wird, wie groß die Hallen bei einer Tournee sein sollen, bin ich immer derjenige, der sagt: „Ob wir das noch hinkriegen?“ Und über ein „Ausverkauf“ freue ich mich immer am meisten. Fazit: Ich bin zwar ein Pessimist, aber ein hoffnungsfroher.

„Zu Ende träumen“ erzählt von der Kraft von Wünschen, Zielen und Träumen. Wird es je gelingen, den Hass aus der Welt zu schaffen?

Engler: Nein. Buddhistisch betrachtet gehört das Leid zum Leben. Und ich betrachte den Hass als einen Teil des Leides. Aber man kann zumindest sich selbst so weit bringen, dass man an diesem Gefühl nicht teilnimmt. Ich empfinde sehr wenig Hass in meinem Leben. Wenn ich eine Zeit lang Wut habe, dann ist das dem gesunden Selbsterhaltungstrieb geschuldet. Zum Beispiel, weil mich jemand betrogen hat oder ich verlassen worden bin. Leute, die hassen oder hassen müssen, haben ein ganz schweres Los.

Wovon träumen Sie?

Engler: In dem Lied „Zu Ende träumen“ gibt es den Satz „Keiner weiß besser als wir, wie das geht“. Wir als Band haben es ja zu Ende geträumt. Ich träume davon, dass meine Lieben und ich möglichst lange gesund bleiben. Auch mit der Erfahrung, welchen Leidensweg mein Freund Ingo hinter sich hat.

Pur Live – Arena Tour: Gigs in der Region

Der hoffnungsfrohe Pessimist-4

- 4. Dezember: Leipzig – Arena Leipzig
- 9. Dezember: Hannover – TUI Arena
- 11. Dezember: Bremen – ÖVB-Arena
- 14. Dezember: Hamburg – Barclaycard Arena
- 15. Dezember: Berlin – Mercedes-Benz Arena