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Sicherheitswochen November 2019

Digitale Gewalt kann jeden treffen

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RND-ILLUSTRATION: PATAN

Initiative gegen Hass und Hetze

Von Anna Schughart  Renate Künast ist keine Ausnahme. In den sozialen Netzwerken wird die Grünen-Politikern wüst beschimpft. Als „Stück Scheiße“ zum Beispiel, als „Drecksfotze“ oder „Sondermüll“. So wie viele andere Politiker, Journalisten oder auch Aktivisten ist sie Zielscheibe von digitalem Hass und Gewalt. Doch einen Unterschied gibt es zwischen Künast und vielen anderen Opfern: Künast hat sich gewehrt. Vor Gericht ging die Politikerin gegen die Beleidigungen unter dem Facebook-Post eines rechten Netzaktivisten vor. Sie verlangte von Facebook die Herausgabe der Daten der Urheber. Das lehnte das Gericht ab, Künast legte dagegen Anfang Oktober Beschwerde ein. Nicht nur das Urteil oder die Reaktion Künstasts erregte Aufmerksamkeit, sondern der Gerichtsprozess an sich. Denn digitale Gewalt wird in Deutschland noch kaum angezeigt. Dabei ist das Problem weit verbreitet – und oft bleibt es nicht bei wüsten Beschimpfungen. Mord- und Vergewaltigungsdrohungen, Stalking oder Doxing-Attacken, bei denen etwa private Informationen im Netz veröffentlicht werden, sind nicht selten und treffen vor allem Frauen.

Wer im Netz von einer Welle des Hasses überrollt wird, fühlt sich oft machtlos. Dabei ist es wichtig, sich zu wehren. Die Organisation Hate Aid unterstützt Opfer dabei

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"Es ist wichtig, dass sich Betroffene wehren. Sonst verroht der Diskurs."


Anna-Lena von Hodenberg, Initiatve Hate Aid

   

Mangel an Beratungsangeboten

Um zur Zielscheibe zu werden, muss man aber nicht unbedingt prominent und politisch aktiv sein. Auslöser könne zum Beispiel auch eine Gruppendiskussion etwa auf Facebook sein, erzählt Anna-Lena von Hodenberg von der Initative Hate Aid: „Es geht eigentlich um etwas ganz anderes, dann macht einer einen rassistischen Kommentar, man hält dagegen und dann geht es los mit Beschimpfungen.“

Wer Ziel von digitaler Gewalt wird, fühlt sich dann oft allein, überfordert und verunsichert. Die Opfer wissen nicht, was sie tun können. Oder wo sie Hilfe finden. „Hate Aid ist die einzige Stelle in Deutschland, bei der ausschließlich Betroffene von digitaler Gewalt begleitet und unterstützt werden“, sagt von Hodenberg. Die Initiative unterstützt auch Renate Künast, richtet sich jedoch vor allem an Privatpersonen, die im Netz Gewalt erfahren haben. Hate Aid hat sich dazu auf Hilfsangebote spezialisiert, die es in dieser Form in Deutschland bisher noch nicht gibt. Das Spektrum zeigt auch, wie differenziert die Antworten auf digitale Gewalt ausfallen müssen.
  

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Keine hundertprozentige Sicherheit

Wenn ein Betroffener zum Beispiel aufgrund eines Tweets plötzlich verbal angegangen wird, wird bei einer Erstberatung mit Hate Aid geklärt, welche Hilfe er benötigt. „Wir machen eine erste Einschätzung: Wie geht es der Person, was ist passiert, welchen psychologischen Bedarf gibt es?”, erklärt von Hodenberg. Oftmals ist den Menschen dann – zumindest emotional – schon mal geholfen. Braucht ein Betroffener aber darüber hinaus weitere psychologische Unterstützung, kann Hate Aid ihn an Experten weiterverweisen.

Es gibt verschiedene Bereiche, die Hate Aid abdeckt: Sicherheitsexperten helfen zum Beispiel dabei, Löschanträge zu stellen oder Social-Media-Konten zu sichern, um so zu verhindern, dass noch mehr intime Details ausgespäht werden.

Aber: „Hundertprozentige Sicherheit kann man niemandem gewähren”, sagt von Hodenberg. „Aber man kann Menschen schon davor schützen, dass noch mehr Details wie Adressen oder Telefonnummern im Internet kursieren und genutzt werden.” Auch Opfer von Hacks können auf den Rat von Experten bauen, um weiteren Schaden abzuwenden.

Wer von einer Welle des digitalen Hasses überrollt wird, ist sich oft unsicher, ob er darauf eingehen soll. Reagieren oder lieber ignorieren? Was soll man tun, wenn man etwa vom Chef auf die Verleumdungen, die über einem im Netz kursieren, angesprochen wird? Auch hier hilft Hate Aid im Einzelfall weiter. „Ein Patentrezept gibt es dafür jedoch nicht. Dazu muss man immer wieder die individuelle Situation bewerten“, sagt von Hodenberg.

87 Prozent der weiblichen Abgeordneten im Bundestag sind einer Umfrage des ARD-Magazins „Report München“ zufolge schon einmal Opfer von Hass im Netz geworden.

Juristischer Beistand ohne hohe Kosten

Die Beratungsplattform bietet auch juristischen Beistand: „Wir überprüfen zum Beispiel die Kommentare und untersuchen, welche davon justiziabel sein könnten”, sagt von Hodenberg. Denn abhängig vom Inhalt kann man gegen einen Kommentar straf- oder zivilrechtlich vorgehen. Beleidigung, Verleumdung oder üble Nachrede sind in der Regel Fälle für das Zivilrecht. Dass trotzdem nur sehr wenige dieser Fälle vor Gericht landen, liegt unter anderem an den Kosten, die die Betroffenen erst einmal etwa für Anwälte bezahlen müssen. „Wir bei Hate Aid übernehmen deshalb bei Fällen, von denen wir denken, dass sie rechtswidrig sind, das Prozesskostenrisiko“, sagt von Hodenberg. Bekommt der Kläger Recht, wird dann das Schmerzensgeld zurück an Hate Aid gespendet – um wiederum anderen zu helfen.

Dass so wenige Fälle vor Gericht verhandelt werden, hängt aber auch damit zusammen, dass die Auswirkungen von digitaler Gewalt lange unterschätzt wurden. Betroffenen wurde dann zum Beispiel geraten, eben einfach nicht mehr zu twittern oder den Computer abzuschalten. Auch Polizei und Staatsanwaltschaften hatten das Thema lange nicht wirklich auf dem Schirm. Unter anderem durch den Mord an dem CDUPolitiker Walter Lübcke, sagt von Hodenberg, sei nun jedoch vielen klar geworden: Digitale Gewalt kann in analoge Gewalt umschlagen – und jeden treffen.
   

Wenig Unterstützung durch Facebook und Co.

Die sozialen Netzwerke selbst bieten Betroffenen wenig Unterstützung. Man kann Inhalte unter anderem melden, einzelne Nutzer blockieren. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verpflichtet Google, Twitter, Facebook und Co unter anderem dazu, eine Möglichkeit zur Beschwerde einzurichten und rechtswidrige Inhalte zu sperren oder zu entfernen. Sie dürfen auch die Daten von Tätern herausgeben. Von vielen Experten werden diese Möglichkeiten als unzureichend kritisiert. Nach dem Attentat von Halle im Oktober, bei dem zwei Menschen starben,wird deshalb nun wieder häufiger über eine Verschärfung diskutiert.

Das Wichtigste aber sei, digitale Gewalt nicht hinzunehmen, sagt von Hodenberg: „Es ist wichtig, dass sich Betroffene wehren. Wenn sie das nicht tun, dann verroht der Diskurs im Netz immer weiter.“ Den Kampf gegen Hass muss niemand allein führen. Das zeigt nicht zuletzt das Engagement von Hate Aid.   

Politik fordert umfangreichere Meldepflicht

Anbieter von Onlineplattformen sollen Morddrohungen und andere strafbare Inhalte bald den Behörden melden müssen. Das kündigte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) jüngst an.

Außerdem sollen auch Anbieter von Onlinespieleplattformen dazu verpflichtet werden, strafbare Inhalte innerhalb von 24 Stunden zu prüfen und gegebenenfalls zu löschen. Dazu sind nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz Spieleanbieter bislang nicht verpflichtet. Das sei unverständlich, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von Bund und Ländern.

Experten weisen seit Monaten darauf hin, dass insbesondere auf der Gaming-Plattform Steam viele zweifelhafte Inhalte zu finden sind. Dort posten Anwender Beiträge mit rechtsextremen Inhalten oder verwenden Hakenkreuze als Symbole. Da Steam zwar viel Platz für Meinungsaustausch bietet, aber dennoch Spiele verkauft, fällt die Plattform nicht unter das Netzwerkdurchsetzungsgesetz.

Initiative gegen Hass und Hetze

In Bayern wollen Justiz und Medien „Hater“ schneller zur Rechenschaft ziehen

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Die Verbreitung von Hass im Netz soll künftig effektiver geahndet werden. 
FOTO: FRANK RUMPENHORST/DPA

Von Julian Bird

Mit ein paar Klicks zur Strafanzeige: Justiz und Medien in Bayern haben Ende Oktober einen Kooperationsvertrag zur Bekämpfung von Hass im Internet unterzeichnet. Ziel ist es, Autoren von Hasskommentaren schneller strafrechtlich zur Rechenschaft ziehen zu können. Redaktionen können dazu ab sofort direkt im Netz Kommentare sogenannter „Hater“ zur Anzeige bringen. Mit Hilfe eines Onlineformulars und einer Cloud-Lösung können dabei Bildschirmfotos (Screenshots) vermeintlicher Straftaten direkt an die Staatsanwaltschaft übermittelt werden.

Geprüft werden die Anzeigen dann zentral für die bayerischen Redaktionen durch die Staatsanwaltschaft München I. Die Initiatoren der Aktion hoffen, dass Autoren von Hasskommentaren so weder auf Webseiten noch in den sozialen Netzwerken ohne Strafe davonkommen. Ob ein Strafverfahren eingeleitet wird, beurteilt bei der Staatsanwaltschaft die Abteilung für politisch motivierte Straftaten. Bis jetzt hätten sich der Initiative schon 60 Medienunternehmen angeschlossen. „Erst anzeigen, dann löschen“, lautet das Motto.

60 Medienunternehmen haben sich in Bayern der Initiative gegen Hass im Netz angeschlossen.

Der Präsident der Landeszentrale für neue Medien und Initiator der Aktion, Siegfried Schneider, sprach vom „Wort als Waffe“. Diese Waffe sei durch die Anonymität im Internet noch gefährlicher. Dank der neuen Plattform werde es künftig einfacher und effizienter, Täter von Hasskriminalität im Internet konsequent zu verfolgen. Parallel zur Initiative haben die Landtags-Grünen ein Antragspaket gegen „Hate Speech“ (Hassrede) vorgelegt. Auch sie fordern, stärker gegen Hass und Hetze vorzugehen. Die Grünen verlangen unter anderem eine zentrale Beratungs- und Meldestelle für Opfer von Verunglimpfungen und Hassrede im Netz.

SICHERHEITS FRAGE

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ANNELIE BUNTENBACH

Arbeitsschutz beugt vor

Fast jeder kennt es: Rückenschmerzen, Verspannungen und andere, manchmal chronische Beschwerden. Der Index Gute Arbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes ist den Ursachen dafür auf der Spur. 30 Prozent aller Beschäftigten leisten alltäglich körperlich schwere Arbeit, zum Beispiel, durch schweres Tragen. 52 Prozent arbeiten sehr häufig in auf Dauer ungünstigen Körperhaltungen, zum Beispiel im Sitzen oder Stehen. Besonders sind Berufstätige in der Landwirtschaft, auf dem Bau und in der Produktion von gesundheitlichen Beschwerden betroffen. Aber auch in den Dienstleistungsberufen häufen sie sich, zum Beispiel im Einzelhandel oder in der Pflege. Auffällig ist außerdem, dass körperlich schwere Arbeit überproportional oft mit Leiharbeit, Schicht- und Nachtarbeit, hoher Arbeitsintensität sowie geringer Entlohnung verbunden ist. Arbeit kann krank machen – es ist daher Aufgabe von Arbeitgebern, für Prävention zu sorgen. Zum Beispiel durch zusätzliche Pausen oder Tätigkeitswechsel. Aber auch die Digitalisierung birgt Chancen für die Prävention. Allerdings ist dies kein Selbstläufer, sondern eine der zentralen Gestaltungsfelder im Betrieb. Bei dem Thema müssen künftig Forschung, Praxis und Politik besser zusammenarbeiten. Hilfreich wäre etwa der Einsatz von Exoskeletten. Die Stützkonstruktion hat sich bei Rückenmarksverletzten bereits bewährt. Für den Einsatz für Arbeitnehmer in der Industrie ist aber noch ein weiter Weg zu gehen, um solche Potenziale für die Gesundheitsprävention zu erkennen, zu heben.

Annelie Buntenbach ist Vorstandsmitglied des Deutschen Gewerkschaftsbundes.

SMARTES GADGET

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Smarte Leuchten gegen Einbrecher

Gerade wenn man für längere Zeit nicht zu Hause ist, lässt sich mit Hilfe vernetzter Leuchten, Rollladenmotoren oder Steckdosen Leben im Haus simulieren. Sind die Geräte über den Netzwerkrouter verbunden, können Nutzer Szenarien vorprogrammieren oder sie per App aus der Entfernung steuern. Das schreckt potenzielle Einbrecher ab. Doch gerade smarte Leuchten, die mit dem Internet verbunden sind, können eine Sicherheitslücke bedeuten. Um sich und seine Daten zu schützen, sollte man vor dem Kauf die Datenschutzerklärung der Hersteller lesen, erläutert der Tüv Rheinland.

IM FOKUS

Schlechte Beratung bei Baufinanzierung

Wer sich bei Immobiliendarlehen zu viele Verträge andrehen lässt, zahlt drauf

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Traumhaus mit Tücken: Geldinstitute klären ihre Kunden nicht immer genau über Vor- und Nachteile von Immobiliendarlehen auf. Das kann ein böses Erwachen nach sich ziehen. FOTO: PIXABAY

Von Falk Zielke

Die Reihenfolge ist in der Regel klar: Immobilie finden, Finanzierung suchen und dann den Kaufvertrag abschließen. „Die Aufnahme eines Immobiliendarlehens ist für die meisten Verbraucher die wohl wichtigste finanzielle Entscheidung ihres Lebens“, sagt Markus Feck, Fachanwalt für Bankund Kapitalmarktrecht. Die passende Finanzierung zu finden, ist dabei allerdings nicht immer ganz leicht. Zusätzlich sind Kunden beim Kauf von Immobilien oft unter Druck: „Es muss alles ganz schnell gehen, sonst ist die Immobilie weg“, sagt Jörg Sahr von der Stiftung Warentest in Berlin. „Da sind die Leute auch froh, wenn sie von der Bank eine Kreditzusage bekommen, mit der sie gleich weiter machen können.“

Doch bekommen Kunden wirklich immer das, was für sie am besten ist? Verbraucherschützer und Rechtsexperten sind skeptisch. Nach Fecks Ansicht trägt zum Beispiel die Qualität der Beratung der großen Bedeutung des Immobiliendarlehens oft nur wenig Rechnung. Auch die Stiftung Warentest stellte in einem Test im Jahr 2017 deutliche Defizite fest.

„Grundsätzlich müssen Berater einen bedarfsgerechten Kredit empfehlen“, sagt Sahr. Was unter anderem bedeutet: „Das Darlehen muss von der Summe her passen, es müssen Risiken in der Finanzierung berücksichtigt sein, und die Laufzeit muss stimmen.“ Auch die finanziellen Verpflichtungen, die ein Darlehensnehmer hat, sollten bei der Beratung eine Rolle spielen.

Doch Berater schaffen es nach Erkenntnissen der Stiftung Warentest in der Praxis nicht immer, die Kreditsumme wirklich am Bedarf der Kunden auszurichten. Den Testern fielen außerdem hohe Monatsraten, Lücken im Finanzierungsplan oder schlichtweg fehlende Informationen auf.

Ein weiteres Problem: Nicht immer bekommen Kunden nur einen einfachen Kreditvertrag. Oft bestehen die Finanzierungen aus mehreren Bausteinen. Ob sich das auch immer auszahlt, ist jedoch zweifelhaft. Dabei bekommen Verbraucher ein Darlehen zu den Marktkonditionen und schließen gleichzeitig einen Bausparvertrag ab. Die monatliche Rate, die die Kunden zahlen, fließt nun aber nicht in die Tilgung des Darlehens, sondern in den Bausparvertrag. Erst wenn der Bausparvertrag zugeteilt wird, wird mit dem angesparten Guthaben und dem fälligen Bauspardarlehen ein Teil des ursprünglichen Kredits getilgt. In den folgenden Jahren muss dann aber noch das Bauspardarlehen abbezahlt werden. Gerät die Finanzierung ins Wanken, etwa durch Scheidung, kann das zum Problem werden.