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HWG Kurier Peine

Braune Wolke war ungeliebtes „Peiner Wahrzeichen”

Braune Wolke war ungeliebtes „Peiner Wahrzeichen”

Die sogenannte braune Wolke über dem Peiner Walzwerk ist vielen älteren Peinern noch in wenig angenehmer Erinnerung. Seit Februar 1911 wurde das Roheisen aus der Ilseder Hütte in flüssigem Zustand nach Peine transportiert. Mit der weiteren Verarbeitung im Peiner Thomasstahlwerk erhöhte sich die Beeinträchtigung durch Staub und Rauch so sehr, dass Bürgervorsteher Justizrat Dr. Brandis im September 1911 wörtlich klagte: „Ich selbst habe am Montagabend eine braune Wolke sich über die Stadt hinziehen sehen. Da, wo der Staub niedergeht, soll das Wachstum von Früchten aufhören.“ Gerhard Lucas Meyer, Geheimer Kommerzienrat und Aufsichtsratsvorsitzender der Ilseder Hütte, ließ im Juni 1912 gegenüber den vielfältigen Klagen der dem Werk benachbarten Hausbesitzer eine nicht ausschließbare Verlegung des Betriebes anklingen. Dieses empfand Anlieger Gustav Degering aus der Gartenstraße als Drohung und schrieb in einem Leserbrief an die Peiner Zeitung: „Fällt uns gar nicht ein, wir wollen uns nur nicht wie die Einwohner von Pompeji unter Asche begraben lassen.” Mit dem neuzeitlichen Blasstahlwerk im Jahre 1964 verschwand die braune Wolke vom Peiner Himmel. Den viele Jahrzehnte andauernden Konflikt um saubere Luft über Peine hat Erich Hoffmann in seinem 1949 erschienenen Buch „Heimat unterm Rauch” anschaulich wie folgt geschildert:Der Walzwerkdreck ging wie ehedem über die Stadt oder die angrenzenden Feldmarken, je nachdem, welche Richtung im Windkalender an der Reihe war. Immer noch rieben sich die Stadtmenschen die Augen rot, wagten nicht aufzuschauen und rannten dabei einander an. Und immer noch standen auch Bauern auf ihren Äckern, sahen die rotbraune Wolke und schwarze Rauchfahnen über sich und die staubbedeckten Blattfrüchte zu ihren Füßen. Kein Fäusteballen änderte den Zustand und selbst die inzwischen anhängig gewordenen langwierigen Prozesse konnten weder Ruß noch Abgasen andere Wege weisen. Geändert hatten sich in der Stadt lediglich die Besitzverhältnisse. Ein großer Teil der Neustadt war von dem Werk angekauft und der Werksdreck konnte hier nur noch die eigenen Häuser anfallen.Die Werksleitung war mit diesen Ankäufen lästigen Prozessen aus dem Wege gegangen oder hatte solche auf diese Weise aus der Welt geschafft. Viele Prozesse erledigten sich durch Vergleiche, indem Mieten und Pachten vonseiten des Werkes ermäßigt wurden oder das Werk freiwillig eine Staubentschädigung weiterzahlte. In anderen Fällen wurden die Werksvertreter das Gefühl nicht los, dass sie Grundstücke und Häuser oft mit Überpreisen bezahlt hatten. Ja manchmal kam der Verdacht auf, dass mit schlechtestem Material schnell erbaute Häuser nur zu dem Zweck entstanden waren, um sie dem Werk anzudrehen. Der Hintergedanke: Das Werk muss ja kaufen, wenn es nicht dauernd die Staubentschädigung zahlen will, soll bei manchem Bau Pate gestanden haben. So wurde die Staubeinwirkung genutzt, um erpresserische Preise für Häuser und Grundstücke zu bekommen. Eigentümer, die trotz allem ihre Häuser nahe dem Werke behalten wollten, bekamen nach wie vor eine Staubentschädigung vom Werke ausbezahlt, und zwar richtete sich die Höhe der Entschädigung nach der Zone, in welcher das Haus lag, und nach dem Flächeninhalt des Daches. In der ersten Zone gab‘s den meisten Dreck, aber auch das meiste Geld. In den ersten beiden Nahzonen kamen die Dachdecker nicht herunter von den Dächern, dauernd waren die Dächer und besonders die Dachrinne wieder voll. Die Fensterrahmen zu streichen lohnte die Farbe nicht, es war ein vergebliches Beginnen, eine Freude von Minuten. So hatten auch die Tischler an Reparaturen der ungestrichenen Fensterrahmen und -kreuze genügend zu tun. In der dritten und vierten Zone war die Staubbelästigung geringer und hier konnten die Besitzer einige Groschen über haben. Im Übrigen wehrte sich das Werk mit dem § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches, welcher besagt, dass man sich Benachteiligungen gefallen lassen muss, wenn diese ortsüblich sind. Hierunter wollte es auch die Staubbelästigung durch die industriellen Anlagen verstanden wissen. Wer sich in Nähe solcher Werke niederließ, müsse sich damit abfinden.Die braune Wolke des ThomaswerkesAm ärgsten waren die Häuser und Gärten an der Bahnstraße und die Felder zwischen Heinrich- und Gartenstraße betroffen. Hier, unmittelbar unter den Konvertern, lag eine fingerdicke Aschenschicht, die einfach alles Leben ersticken musste. Wenn sich auch das Gericht dem obigen Standpunkt der Werksvertreter anschloss, trat es doch wieder auf das andere Bein und pflichtete den einzelnen Haus- und Landbesitzern bei, die den Schaden an ihren Häusern oder ihren Äckern in Form von Verderbnissen der Blattfrüchte oder Kohlarten nicht allein tragen wollten. Dem Werke wurde empfohlen, bestmögliche technische Einrichtungen zur Schonung der Umgebung zu schaffen. Nach nachweisbarer Bewährung könne dann die Staubentschädigung fortfallen und die aufgewandten Kosten ließen sich somit wieder hereinholen.Ein erster beachtlicher Schritt auf diesem Wege, der die Quantität des Rauches und der damit verbundenen Staubbelästigung erheblich minderte, war die Elektrifizierung des Werkes; – übrigens waren Hütte und Walzwerk in Ilsede-Peine die ersteren größeren Werke in Deutschland, die elektrifiziert wurden – viele bis dahin rauchende Schlote wurden dadurch Nichtraucher. In der Zeit der großen Arbeitslosigkeit lag auch das Walzwerk eine längere Zeit still und der letzte Rest von Walzwerkdreck blieb aus.