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HWG Kurier Peine

Blickfang am Peiner Markplatz: Das „Modehaus Schridde“

Blickfang am Peiner Markplatz: Das „Modehaus Schridde“

Heimatgeschichte

Das Haus „Schridde am Markt“ prägt das Bild der Peiner Innenstadt wie kaum ein anderes. Dr. Ulla Gatzert, eine Großnichte des Geschäftsgründers Hermann Schridde, gibt einen Überblick über die Geschichte dieses über die Stadtgrenzen hinaus bekannten Peiner Kaufhauses.Eine Tradition beginntJede Tradition hat ihren Anfang. Diese beginnt mit dem jungen Hermann Schridde, der Ende des 19. Jahrhunderts von seinem Geburtsort Holzminden nach Peine zieht. Bei dem alteingesessenen Textilgeschäft VOGES am Marktplatz übernimmt er eine Tätigkeit als Vertreter, der Kleidung und Stoffe im Landkreis verkauft. Zu dieser Zeit ist die ehemals kleine Provinzstadt Peine bereits mächtig gewachsen. Die Hochöfen und das Stahlwerk ziehen Hunderte von Arbeitern und die entsprechende Verwaltung in die Stadt an der Fuhse. Mit der Bevölkerung wächst auch der Bedarf an Alltagsgegenständen und Hermann Schridde nutzt die Gunst der Stunde, um sich mit einem kleinen Textilgeschäft selbstständig zu machen, das seinen Namen tragen soll: „Schridde“.„Immer eine Stunde früher aufstehen als die Konkurrenz“

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Blickfang am Peiner Markplatz: Das „Modehaus Schridde“-2
Hermann Schridde

Gemeinsam mit seiner frisch vermählten Frau Marie, die er bei VOGES kennengelernt hat, mietet er 1902 an der nordöstlichen Ecke des Peiner Marktplatzes/Ecke Marktstraße einen Verkaufsraum mit zwei schmalen beheizbaren Kammern für Lager und Büro. Fortan steht Marie zusammen mit ihrer Schwester Elli Sussmann hinter dem Ladentisch, während Hermann bereits im Morgengrauen mit dem Musterkoffer von Dorf zu Dorf zieht, um der Landkundschaft seine Ware anzubieten. „Immer eine Stunde eher aufstehen als die Konkurrenz!“ ist dabei sein Motto. Seinen zweiten Grundsatz „Carpe Diem – Nutze den Tag“ befolgt er, wenn er abends mit Marie die Kommissionen für den nächsten Tag fertigstellt – oft bis spät in die Nacht hinein. Meterhoch türmen sich in dieser Zeit die Stoffballen und Pakete in dem Geschäft, denn das Angebot ist groß: Kleiderstoffe, Kurzwaren, Bettwäsche, Unterwäsche, Gardinen … Schriddes führen und besorgen alles, was das Herz begehrt

Blickfang am Peiner Markplatz: Das „Modehaus Schridde“-3
Erich Schridde

Durch viel Fleiß, Durchhaltevermögen und eine Portion Glück ist die Firma Schridde am Markt bald weit über die Peiner Kreisgrenzen hinweg bekannt und expandiert zu einem Mode- und Ausstattungshaus. Das Ehepaar erwirbt 1910 das gesamte Gebäude am Markt, bezieht selbst die erste Etage und stellt zunächst acht Mitarbeiter ein. Nun hat Hermann endgültig sein Ziel aus Kindertagen erreicht, denn – so erzählt man sich in der Familie – bereits als kleiner Junge wollte er ein tüchtiger Textilkaufmann werden und später ein eigenes Geschäft besitzen.

„Lehrjahre sind keine Herrenjahre“

Nach beinahe 25 Jahren alleiniger Leitung des Geschäfts bekommen Hermann und Marie, die keine eigenen Kinder haben, Unterstützung durch Erich und Hans- Hermann Schridde. Die beiden Neffen beginnen 1925 und 1927 auf Wunsch des Onkels eine Lehre zum Kaufmann, die zu dieser Zeit noch „Manufakturist“ genannt wird. Dass Lehrjahre keine Herrenjahre sind, lernen die beiden schnell, denn ihr Leben ist fortan streng getaktet: Gemeinsam bewohnen sie ein Zimmer im dritten Stockwerk des Geschäftshauses und Mahlzeiten werden mit den Chefs eingenommen. Jeden Werktag müssen sie um 7:30 Uhr den Laden aufschließen, bis 19:00 Uhr dort arbeiten und oft nach dem Abendessen noch Lager packen, Waren sortieren oder im Büro mithelfen. Auch das Ausfahren der Waren mit dem Fahrrad muss am Abend noch erledigt werden. Und wehe, um 22:00 Uhr sind sie nicht wieder zu Hause!

Blickfang am Peiner Markplatz: Das „Modehaus Schridde“-4
Hans-Hermann Schridde

Doch die strenge Führung rechnet sich und das Geschäft blüht weiter auf. Marie Schridde erweitert das Angebot und führt die Damenkollektion ein. Als sie 1936 an einem Nierenleiden verstirbt, steigen die Neffen voll in das Geschäft mit ein, nachdem Erich in Celle und Braunschweig und Hans-Hermann in Oldenburg und Wilhelmshaven sich „den Wind um die Nase“ haben wehen lassen. Bis zu 45 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen sie in dieser Zeit. Auch privat finden wichtige Ereignisse statt: 1938 heiratet Erich Ilse Rowohl aus Braunschweig, 1939 heiratet Hans-Hermann Irma Biet, Kapitänstochter aus Elsfleth und Maries Nichte, die er während des Peiner Freischießens kennengelernt hat.

Kriegswirren und „Stunde null“

Mit Beginn des Krieges 1939 verändert sich die Situation. Die beiden Neffen werden eingezogen und Hermann versucht, die Geschäfte mit nur drei Verkäuferinnen weiterzuführen. Doch das Heizen muss auf das Nötigste beschränkt werden, die Fenster bleiben verdunkelt und es wird immer schwieriger, an Ware heranzukommen.

Als die Neffen nach Kriegsende aus der Gefangenschaft zurückkehren, finden sie einen leeren Laden vor und müssen praktisch von vorn beginnen. Neue Arbeit und kreative Lösungen sind gefragt. Schriddes erweitern nach Genehmigung der Kreisselbstverwaltung Peine im Jahr 1946 ihr Sortiment: Sie verkaufen Behelfsgeschenkartikel aus Holz und Eisen, selbst genähte Stofftiere und Toilettenartikel. Auch färben sie Kleidung um. Aus Militärmänteln und -wolldecken werden zivile Kleidungsstücke geschneidert. Insbesondere Hans-Hermann nimmt strapaziöse Eisenbahnfahrten in überfüllten Waggons nach Hannover und Braunschweig auf sich, um die Waren zu besorgen, die von den Peinern und den zahlreichen Flüchtlingen und Heimatvertriebenen, die in die Stadt strömen, dringend benötigt werden.

Der der Währungsreform folgende Wirtschaftsaufschwung betrifft nicht nur wenige Glückliche, sondern erreicht die Massen und hebt auch bei Schridde Am Markt den Umsatz an. Schridde expandiert und übernimmt die ehemaligen Geschäftsräume von VOGES gegenüber am Markt und richtet hier die Herren- und Maßkonfektion ein. Ursula Zindler, eine der ältesten und am längsten in der Firma tätig gewesenen Mitarbeiterinnen, erinnert sich: „In der besten Zeit haben hier zehn Schneiderinnen und Schneidermeister für die Herrenkonfektion gearbeitet. Wenn die Kunden vorher etwas im Hauptgeschäft gekauft hatten, mussten wir sie rüber über den Markt führen, damit ihnen der Weg nicht zu lange wurde und sie uns wegliefen: ‚Kommen Sie mit, wir gehen mit rüber!‘ Denn der alte Herr Schridde sagte immer: ‚Das sind Zusatzverkäufe. Wenn sie hier einen Knopf kaufen, dann müssen sie da einen Stoff kaufen, der passend zum Knopf ist.‘ Da sprach seine alte Kaufmannsseele.“

Frischer Wind in alten Strukturen

Nach dem Tode des Seniorchefs Hermann Schridde im Jahre 1950 führen dessen Neffen Hans-Hermann und Erich Schridde des Traditionsgeschäft fort. Nach Erichs Tod im Jahre 1972 beschließt Hans-Hermann, dem später zweimal in Jahresfolge der beste Schuss zum Bürgerkönig gelingt und der daraufhin als „Bürgerkönig des Jahrhunderts“ in die Peiner Schützengeschichte eingehen wird, die Geschäftsführung in die Hände anderer zu geben: Bodo Desch, Textilwirt aus Aschaffenburg, pachtet Schridde Am Markt. Unter seiner Leitung weht ein frischer Wind durch das Modegeschäft. Beinahe alle Sortimente werden bei einem großen Räumungsverkauf aufgegeben und sich fortan auf Damenoberbekleidung konzentriert. Mit großen Schaufenstern öffnet er den Geschäftsraum zur Straße hin und eröffnet zur Marktstraße mit dem „Klamottchen“ eine Boutique für junge Mode. Auch nimmt er die ersten Hosen für Damen in das Sortiment auf. Schnell macht er sich bei allen modebewussten Damen in Peine und Umgebung einen guten Namen.

Dass Bodo Desch dabei bereit ist, auch völlig neue Wege zu gehen, beweist er mit einer Werbekampagne, die sogar in der Peiner Allgemeinen Zeitung Aufsehen erregt: „Eine gut aussehende, nur mit einem Schlüpfer bekleidete junge Dame musste am hellichten Tage die Straße vor dem Geschäft überqueren, den Laden betreten und ihn nach erfolgreichem Einkauf als Prinzessin mit Cape verlassen.“ Diese Aktion sorgt noch eine ganze Weile für Gesprächsstoff in der Fuhsestadt.

2004 übernimmt Dunja Wittenberg als Inhaberin das Geschäft in Peine. Die gebürtige Hohenhamelnerin hat bei Schridde schon ihre Ausbildung gemacht und bereits seit 1996 die Geschäftsführung inne. Sie fühlt sich tief verbunden mit der Tradition und dem Geist des Hauses: „Schon als ich hier meine Ausbildung begann, habe ich mir immer vorgestellt: Schridde übernehme einmal ich. So war ich immer positiv eingestellt und mit viel Engagement dabei – damit es dem Unternehmen gut ging.“

Das Haus Schridde ist als „Modehaus Schridde“ eines der ältesten Fachgeschäfte in Peine. Es ist ein Traditionshaus und soll es bleiben.