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Autokino

Knabbern, Knutschen, Kino – Filmzirkus vor der Windschutzscheibe

Knabbern, Knutschen, Kino – Filmzirkus vor der Windschutzscheibe

Von Ulrich Jaschek War es nicht eine schöne Zeit, die gute alte Zeit, als das „Drivein-Lichtspieltheater“ seinen Reiz als Flirt-Plattform noch nicht an Internet-Dating oder Facebook verloren hatte? In genau diese Zeit versetzt die Peiner Allgemeine Zeitung vom 29. bis 31. August ihre Leser beim großen Autokino auf dem Hüttengelände in Ilsede. Ein Kult, der Geschichte hat. Im Juni 1971 öffnete in Delmenhorst das erste Autokino Deutschlands – und schloss, wie das ebenfalls in den 1970ern in Kirchhorst gegründete, im Jahr 1992. Apropos Kirchhorst: Wer aus der heutigen „Generation Silber“ erinnert sich nicht gerne an „Kirchhorst“ als Synonym für Autokino in direkter Nachbarschaft des Peiner Landes? 

PAZ-Autokino in Ilsede vom 29. bis 31. August – Karten ab jetzt erhältlich – Kult hält sich in Deutschland seit den 1970er-Jahren

In seiner Blütezeit nicht nur Aufmarschgebiet für coole Kisten ebensolcher Fahrer, sondern bei Eintrittspreisen um 15 Mark auch Tummelplatz für Liegesitz-Praktikanten und Rückbank-Akrobaten – vorzugsweise in der letzten Park-Reihe. Und welche Eltern trauen sich schon, ihrem Nachwuchs zu gestehen, dass deren Dasein womöglich einer romantischen Nacht im Autokino geschuldet ist?

Ende der 1970er-Jahre soll es immerhin bis zu 40 Autokinos in Deutschland gegeben haben, wobei gemunkelt wird, dass die überwiegende Zahl der automobilen Gäste (auch!) Filmfreunde waren.

Zwar musste der Tüftler bald wieder schließen, weil die Autokino-Nachbarn als unfreiwillige Zaungäste den von großen Lautsprechern äußerst unüberhörbar übertragenen Filmton bald auswendig mitsprechen konnten. Die Kino-Idee allerdings entwickelte sich in den USA weiter. In den Glanzzeiten der etwa 3000 US-Autokinos kam übrigens der Ton aus kleinen Lautsprechern, die ins Autofenster gehängt wurden. Das spätere Autokino-Sterben überlebten in den USA bis heute gerade mal etwa zehn Prozent der Spielstätten, in Deutschland soll es noch etwa 20 Autokinos geben, in denen der Filmton übrigens längst per UKW ins Autoradio übertragen wird.Übrig geblieben von dieser Art des Filmkonsums scheint nun ein Hauch von Nostalgie, aus deren Glut sich eine Art frischer Autokino-Kult zu entwickeln scheint. Denn aller Wetter- und Geschäftsnachteile solcher Aufführungsstätten zum Trotz scheint nun die Nachkommenschaft der einstigen Autokino-Kundschaft interessiert und nimmt Angebote moderner mobiler Autokinos wahr, die sozusagen als cineastischer Wanderzirkus mit aufblasbarer Riesenleinwand an unterschiedlichen Orten für Furore sorgen. Das könnte Zukunft haben, denn kein Geringerer als John Travolta als Danny Zuko, setzte im Kultmusical „Grease“ drehbuchgemäß aufs Auto kino, um sich mit Olivia Newton-John als Sandy zu versöhnen, um dann erstens enttäuscht und zweitens allein zurückzubleiben.

Wer aber beim PAZ-Autokino-Zirkus nicht zurückbleibt, sondern im Gegenteil bei einsetzender Dämmerung den (Liege-)Sitz zurückstellt, gleichzeitig nach Popcorn greift und zum attraktiv besetzten Beifahrersitz tastet, hat die Chance auf einen in vielerlei Hinsicht unvergesslichen Abend und könnte gegebenenfalls später sogar seinen Enkeln davon berichten.

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1974: ein Paar genießt das Autokino auf dem Messegelände Hannover, und der Ton kam von Film-Cassetten. Fotos (3): archiv

Erfinder des Filmeguckens hinter dem Lenkrad war – natürlich – ein US-Amerikaner. Filmenthusiast Richard M. Hollingshead experimentierte nämlich in den 1930er-Jahren mit Laken, Projektoren und Tonqualität, bis er im Juni 1933 das erste Autokino der Welt mit etwa 400 Plätzen eröffnete und das heute längst vergessene US-Filmdrama „Wife Beware“ präsentierte.